KW 49/2020

Gesellschaftlicher Nutzen

Mit Raumfahrttechnik gegen Corona

In mehrtägigen Messungen hat das Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik des DLR die Virenbelastung der Luft untersucht, die mit dem neuen Lüftungssystem erzeugt wird.  © DLR
In mehrtägigen Messungen hat das Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik des DLR die Virenbelastung der Luft untersucht, die mit dem neuen Lüftungssystem erzeugt wird. © DLR
Die Schließung der Schulen während des ersten Lockdown war für Eltern wie Schüler eine der härtesten und folgenschwersten Einschränkungen. Zu Recht soll ein derartiges Szenario in der anhaltenden Pandemie möglichst vermieden werden. Einen Beitrag will die OHB System AG gemeinsam mit dem Medizintechnik-Partner HT Group leisten. Mithilfe von Know-how aus der Raumfahrt hat das bayerische Unternehmen ein Lüftungssystem entwickelt, das die Verbreitung von Viren in geschlossenen Räumen deutlich reduziert.

Bei Upwind 900 handelt es sich um ein vertikales Lüftungskonzept. Ein sanfter gefilterter Luftstrom wird unten in den Raum eingebracht und strömt nach oben zur Zimmerdecke, wo die potentiell mit Aerosolen belastete Luft abgesaugt wird. Die Luft wird zusätzlich nach oben getrieben, da sie durch die Körperwärme der Personen im Raum erwärmt wird. Die abgesaugte Luft wird anschließend mithilfe sogenannter HEPA-Filter – die auch in Flugzeugen zum Einsatz kommen – gereinigt und dem Raum erneut zugeführt.

Anders als bei herkömmlichen Belüftungsanlagen sowie beim Fensterlüften wird eine Vermischung der verbrauchten und frischen Luft vermieden. Eine Ausbreitung von Viren oder Aerosolen wird so deutlich vermindert, das Ansteckungsrisiko sinkt. Hinzu kommt: Auf dem Weg vom Gesichtsfeld bis zur Decke gibt es praktisch keine Hindernisse, so dass die Luft ungehindert strömen kann.

Das System ist als Einbausatz konzipiert, der kosteneffizient und ohne große Umbaumaßnahmen in bestehenden Räumen installiert werden kann. Die Vorrichtung wird an einer Wand, an der Decke bzw. an der gegenüberliegenden Wand befestigt, um die aufbereitete Luft in Bodennähe einzubringen und die verbrauchte Luft an der Decke abzusaugen. Neben Schulen ist das System für alle geschlossenen Räume wie Restaurants, Kinos und Wartebereiche geeignet, die teils besonders von den aktuellen Einschränkungen betroffen sind. Über die Corona-Pandemie und die Grippe-Saison hinaus ist das System dafür ausgelegt, zusätzlich Pollen-, oder Feinstaubbelastung sowie Allergene in der Luft zu reduzieren.

Spill-over aus der Raumfahrt

Die OHB System AG hat die Technologie gemeinsam mit der HT Group entwickelt, die auf den Ausbau von OP-Räumen, Hochsicherheitslaboren und Patientenzimmern spezialisiert ist. OHB steuerte dabei Know-how aus der Raumfahrtforschung bei. So erforscht OHB unter anderem, wie Satellitenbauteile vor Verschmutzung durch Partikel, chemische Stoffe oder Mikroorganismen geschützt werden können. Die Erfahrungen aus beiden Unternehmen flossen bei dem neuen Lüftungskonzept mit ein.

Eine mehrtägige Messkampagne am Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik des DLR hat inzwischen erwiesen, dass das System funktioniert und das Übertragungsrisiko sinkt. Die Experimente zeigten, dass quasi eine Trennwand aus Luft zwischen den Personen im Raum entsteht. Mit einem Demonstrator des Upwind 900 werden demnächst weitere Praxistests in Schulen, einem Seminarraum sowie einem Restaurant durchgeführt.